Jakob von Paradies
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Dieter Mertens, Jakob von Paradies (1381-1465) über die mystische Theologie, Analecta Cartusiana, vol. 55/5: Kartäusermystik und –Mystiker. Dritter Internationales Kongress über die Kartäusergeschichte und – Spiritualität, Bd. 5, (1982), p. 31-46

I

Viele Traktate Über die mystische Theologie, so auch der des Kar-täusers Jakob von Paradies, betonen, dass ihr Gegenstand, das Erreichen der mystischen unio, dem simplex laicus et idiota nicht verwehrt sei. Dagegen bleibe die traktatmässige Abhandlung über diesen Gegenstand, also das speculari de mystica theologia, Sache der Gelehrten, die freilich wie Blinde von der Farbe redeten, wenn sie sich nicht zuvor und zugleich um die mystische Praxis bemühten . Für die wissenschaftliche Erörterung schließlich, die derartige Traktate über die mystische Theologie zu ihrem Gegenstand nimmt, mögen solche hermeneutische Kautelen immer noch Geltung beanspruchen; jedenfalls hat sie im Vergleich zu ihrem Gegenstand und erst recht zum Gegenstand der Traktate, die auf die liquefactio abzielen, stets etwas Trockenes und Inadäquates an sich - die Lektüre auch der folgenden Erörterung wird den Leser zumindest hier-von überzeugen können.
Der Umstand, dass der Traktat des Jakob von Paradies über die mystische Theologie niemals gedruckt, geschweige denn kritisch ediert, ja überhaupt erstmals 1981 (durch Johannes Auer) vorgestellt worden ist, bringt den Leser in die missliche Lage, nicht leicht beurteilen zu können, ob diese Erörterung nun ihrerseits blind für die Farbe des Traktates Jakobs redet - die Anführung von Zitaten, die den diskursiven Zusammenhang des Textes angemessen berück-sichtigten, würde diesen Beitrag zu einem Sammelband unangemessen ausweiten. Einen Eindruck von Stil und Darstellungsweise des Autors Jakob vermag immerhin der Abdruck des Prologs und der Kapitel 1-3 und 8-10 durch J. Auer zu vermitteln.
Auer hat auch durch eine Wiedergabe aller Kapitelüberschriften vor Augen geführt, dass Jakobs Traktat über die mystische Theologie nur den zweiten Teil eines Doppeltraktates bildet. Während Auer diesen zweiten Teil in den theologischen Entwicklungsgang der Mystik einzuordnen versucht, soll im fol-genden der Zusammenhang der beiden Teile miteinander und ihr gemeinsamer Bezug zur Ekklesiologie Jakobs, d.h. zu seiner Stellung im Rahmen der Geschichte der Kirchenreform, bedacht werden.
Die erhaltenen Handschriften des Traktats - es sind 15 - stammen aus der Erfurter Kartause selbst, wo Jakob von Paradies ihn 1451 verfaßt hat; aus den Kartausen von Trier, von Freiburg i. Br. und aus Mauerbach (von wo er nach Buxheim gelangte); in Tückelhausen war zumindest ein Codex des Bamberger Bischofs Antonius von Rotenhan bekannt; in die Kölner Kartause gelangte die Schrift als Schenkung des Wilhelm Textoris, eines Weltgeistlichen aus Aachen, der nach seiner Ausbildung an der Erfurter Universität Ordinarius für Theologie an der neuen Basler Universität wurde und, soweit das im Verhältnis zu einem Kartäuser möglich ist, als Schüler des Jakob von Paradies bezeichnet werden darf. Weitere Handschriften entstammen den reformierten Bursfeider Benediktinerklöstern Klus (bei Gottingen), Reinhardsbrunn (bei Gotha), Oldenstedt (bei Ülzen) und Liesborn (bei Lippstadt), ferner dem Augustinerkloster Sagan (in Schlesien), dem Augustinerinnenkloster Heiningen (in der Diözese Hildesheim) – stets sind auch diese reformierte - und dem Fraterhaus in Butzbach. Letztere Überlieferung geht wohl auf Gabriel Biel und seine Erfurter Universitätszeit zurück. Biel gehört wie Textoris und der als letzter Handschriftenbesitzer zu nennende Petrus Rode aus Leipzig zu den bedeutendsten Sammlern der Werke des Kartäusers Jakob unter den weltpriesterlichen Reformtheologen.
Alle genannten Konvente und Einzelpersonen zählen zu den entschiedenen, vielfach auch persönlich untereinander verbundenen Anhängern und Promotoren der Kirchenreform in der Mitte und der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts und zu-gleich zu den wichtigsten Rezipienten kartäusischer Literatur, namentlich auch der des Jakob von Paradies. Inwiefern mystische Theologie und Kirchenreform, die nach dem Ausweis der Provenienzen der Handschriften zusammengehen, sich auch in Jakobs Auffassung verbinden, wird am Schluß kurz zu erörtern sein. Zunächst ist der handschriftlichen Oberlieferung ein weiterer wesentlicher Zu-sammenhang zu entnehmen. Der Traktat Jakobs über die mystische Theologie ist stets als die secunda pars des Doppeltraktates De actionibus humanis et de mystica theologia überliefert. Nur der erste Teil De actionibus humanis kommt gelegentlich gesondert vor, der zweite Teil nie. Es handelt sich bei dieser Doppelung nicht um die mehrfach in Schriften zur mystischen Theologie vorgenommene Gliederung in einen theoretischen und einen praktischen Abschnitt - das tut in dieser Weise Jakobs De mystica theologia überschriebene secunda pars für sich alleine schon -, sondern um die Vorschaltung einer gleich ge-wichtigen und gleich umfangreichen Abhandlung über die operatio meritoria. Wir müssen hier beide Teile ins Auge fassen, um den Intentionen des Verfassers gerecht zu werden.
Der Doppeltraktat ist 1451 wohl in einem Zuge abgefaßt worden. Jakob enthält sich aller expliziter Hinweise oder Polemiken bezüglich zeit-genössischer Autoren der mystischen Theologie. Darum ist es auch nicht mög-lich, dem Text selbst einen Hinweis auf den Anlaß seiner Abfassung zu ent-nehmen. Doch daß Jakob gerade 1451 über dieses Thema schreibt, dürfte nicht zufällig sein, sondern mit des Nikolaus von Kues Legationsreise durch Deutsch-land zusammenhängen, die den Kardinal am 29. Mai 1451 für 10 Tage nach Erfurt führte, wo er in der Zentrale der Bursfeider Benediktiner, der Abtei St. Peter, residierte. Diese ist das der Kartause am nächsten stehende Erfurter Kloster, dessen Äbte sich der spirituell-literarischen Hilfe des Kartäusers Jakob für die Festigung der Bursfelder Observanz ein Jahrzehnt lang bedienten. Mit seiner Legationsreise hat der Kusaner bekanntlich auch eine literarische Spur durch Deutschland gezogen, das Für und Wider die Docta ignorantia, zu deren Aufdeckung im süddeutschen-österreichischen Raum nach Vansteenberghe und Redlich nunmehr H. Roßmann das meiste beigetragen hat . Der Kusaner war dem Erfurter Jakob kein Unbekannter. Denn vor seiner Kartäuserzeit hatte der leidenschaftliche Verfechter der Autorität des Basler Konzils und allgemein bekannte Mitverfasser des großen konziliaristischen Krakauer Universitätsgut-achtens die Stimme des Eugenianers Nikolaus wohl beachtet. In Jakobs Papieren zur Konzilsproblematik - heute einem Londoner Codex - findet sich eine vielleicht vor Ort, vielleicht wenig später niedergeschriebene Zusammen-fassung der zweitätigen Werberede, die Nikolaus von Kues 1442 vor dem Frank-furter Reichstag zugunsten Eugens gehalten hat. In der Schrift De negligentia praelatorum, wie unser Doppeltraktat 1451 verfaßt, hat Jakob ein aktuelles Dictum des Kusaners festgehalten, das dieser cum in Alemannia praedicaret, also wohl während der Legationsreise, gesprochen habe: die monachi inobedientes et proprietarii seien leibhaftige Teufel . Auf den Eugenianer Nikolaus konnte sich Jakob verständlicherweise nicht berufen, auf den Förderer der monastischen Observanzbewegungen wohl; ob auch auf den Interpreten des Ps.-Dionysius Areopagita ? Auf ihn wohl wieder nicht. Denn Jakob hält sich – um dies vorweg zu nehmen – in entscheidenden Punkten so eng an des Hugo von Balma Interpretation des ps.-dionysischen consurge ignote, dass er wohl eher eine Gegenposition zum Kusaner einnimmt. Ob Jakob den Text der Docta ignorantia und der zugehörigen kleineren Werke gekannt und vorliegen hatte ist unwahr-scheinlich. Da eine kritische Ausgabe von Jakobs Traktat nicht existiert, kann ich nur zwei Beobachtungen beisteuern: nämlich dass ich eine Benutzung der von Jakobs Traktat ohnehin grundverschiedenen Docta ignorantia nicht habe entdecken können, auch nicht einmal eine Verwendung des Begriffs, und dass ferner die der Erfurter Kartause zugehörige Handschrift der Docta ignorantia – heute in Eisleben – mindestens zehn Jahre jünger ist als Jakobs Traktat.
Das schließt freilich nicht aus, dass Nikolaus in Erfurt wie anderswo auch kompetente Männer kontemplativer Profess und Erfahrung zu Stellungnahmen über die mystische Theologie angeregt hat.
Ich möchte nun im folgenden so vorgehen, dass ich zunächst Aufbau und Inhalt des zweiten Teils des Doppeltraktates, also den eigentlich über die mystische Theologie handelnden Teil erläutere, darauf nach dem Zusammenhang mit dem ersten Teil De actionibus humanis frage und zur Beantwortung einige signifikante Probleme aus dem ersten Teil hervorhebe. Für die Beurteilung der Absicht des Ganzen und für die Einordnung in den weiteren Zusammenhang der Kirchenrefonn wird es schließlich nützlich sein, nochmals auf den zweiten Teil, und zwar auf Jakobs Kapitel über die Frauenmystik zurückzukommen.

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créé17/04/03 modifié 26/04/07